Samstag, 3. September 2011

Lost in Virtual Space - Überlegungen zur Museumsdidaktik 2.0





Der virtuelle Raum als Inszenierungsort einer Ausstellung verlangt nach didaktischen Überlegungen, wie man sie so in einem traditionellen Museum nicht anstellen muss. Die Möglichkeiten des Web 2.0 erlauben es den AustellungsmacherInnen gleichzeitig von traditionellen Rollenkonstellationen in der Museumsdidaktik abzurücken, ja verlangen es geradezu. Durch Interaktionsmöglichkeiten können die RezipientInnen als handelnde Personen in den Mittelpunkt des Ausstellungskonzepts gestellt werden. Die Objekte als Erinnerungsträger und Verkörperung historischer Ereignisse verlieren durch die Übertragung über einen Bildschirm jedoch die den Museumsraum traditionell auszeichnende Aura. Statt Originale sind bloße Abbilder die Semiophoren des virtuellen Raums.

Auch wir sahen uns mit den Problemen und Chancen des virtuellen Raumes konfrontiert. In diesem Blogeintrag soll es daher um einige didaktische Überlegungen gehen, die wir um Zuge unserer Ausstellungskonzeption angestellt haben.

Die Weiten und Grenzen des virtuellen Raumes

Ein eher praktisches Problem für die Museumsdidaktik ergibt sich aus der Weite des virtuellen Raumes. Eine traditionelle Ausstellung wird durch die Räumlichkeiten des Museums begrenzt. Die BesucherInnen sind an einen bestimmten Ort gebunden, an dem sie zwangsläufig mit den Inhalten der Ausstellung konfrontiert werden. Darüber hinaus entfaltet der Raum selbst eine auratische Wirkung. Raum und Inhalt einer traditionellen Ausstellung korrespondieren somit willentlich oder unwillentlich miteinander. Im WWW geht sowohl die physische Begrenzung als auch die auratische Wirkung des Raumes verloren. Andere Internetseiten können einfach per Mausklick geöffnet werden. Die BesucherInnen können die virtuelle Ausstellung somit jederzeit verlassen und sich in Sekunden anderen Inhalten zuwenden.

Wir mussten uns daher überlegen, wie wir die BesucherInnen auf den Websites unserer Ausstellung halten können. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass dies nur durch die aktive Einbindung der BesucherInnen und den Einsatz von multimedialen Inhalten möglich ist. Hier spielen uns die Vorteile des Web 2.0 in die Hände. Ob Video- oder Audiostreams, Textfelder oder Bilder, in einer virtuellen Ausstellung können diese Medien miteinander verknüpft werden. Per Mausklick können die BesucherInnen selbst auswählen, welche Medienelemente sie sich näher anschauen wollen. In diesem Zusammenhang haben wir ganz stark auf die Interaktion der BesucherInnen gesetzt, um diese direkt in die Ausstellung einzubinden. So können die BesucherInnen, indem sie bestimmten Verlinkungsstrukturen folgen, ihren eigenen Weg durch die Ausstellung wählen und selbst Schwerpunkte setzen. Dies soll vordergründig interessensorientiert erfolgen, den BesucherInnen jedoch auch den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext eines bestimmten Objekts durch Verlinkungen zu anderen Themenbereichen der Ausstellung aufzeigen.

Die Verlinkungen dienen dabei dazu, die historischen Verweisungsstrukturen eines Objekts virtuell nachzuempfinden. Dadurch soll, ganz im Sinne Walter Benjamins [1], die Aura eines Objektes durch den Einsatz verschiedener multimedialer Ebenen künstlich erzeugt werden. Denn dadurch, dass wir nur virtuelle Abbilder von Originalen präsentieren können, geht die Aura eines Objekts und deren Wirkung auf die BesucherInnen verloren. Sounddateien, Videosequenzen und begleitendes Text- und Bildmaterial sollen diesem Verfall der Aura Einhalt gebieten. Völlig reproduzieren lässt sie sich freilich nicht. Hierin liegt sicherlich eine der Grenzen des Inszenierungsortes virtueller Raum.

Hands-on, minds-on per Tastatur und Maus

Wie Andreas Urban festgestellt hat, liegt „die Qualität des Museums [...] in der Bildhaftigkeit, im Veranschaulichungspotential, nicht in der Fähigkeit zur wissenschaftlichen Diskussion eines Sachverhalts.“ [2] Was auf das traditionelle Museum zutreffen mag, verliert im virtuellen Raum etwas an Schärfe. Natürlich ist die Bildhaftigkeit der Objekte noch immer das zentrale didaktische Mittel einer Ausstellung im Web 2.0. Jedoch wird eben diese Bildhaftigkeit durch die fehlende materielle Dinglichkeit und physische Ferne der Objekte eingeschränkt. Das Abbild eines Objektes auf dem Bildschirm kann eben nicht das eigentliche Objekt ersetzen.

Der virtuelle Raum eignet sich dagegen bestens dazu, Diskussionen zu Inhalten der Ausstellung auf unterschiedlichen Ebenen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang hatten wir die Idee, die BesucherInnen direkt in diese Diskussionen mit einzubeziehen; eine Möglichkeit, die in einem traditionellen Museum so nicht gegeben ist. Es sei denn durch Gästebücher oder aufgestellte Computer und Multimediastationen oder neuere interaktive Formen von Multimediaguides – die aber ihrerseits das Museum in den virtuellen Raum hinein erweitern.

Durch die Integration von Social Media Elementen wie Foren oder die Möglichkeit zum Upload eigener Dateien, können die BesucherInnen selbst einen Teil der Ausstellung mitgestalten bzw. kommentieren. Ganz gleich ob sie Ausstellungsinhalte nur kommentieren oder eigene Fotos und Videos im Forum posten. Dank Web 2.0 können die BesucherInnen selbst zu AusstellungsmacherInnen werden. Auf diese Weise kann Annette Leppenies Forderung, die Prinzipien des “hands-on” “minds-on” ins Zentrum der Museumsdidaktik zustellen, wird somit noch eine Stufe weitergetrieben. [3] Die BesucherInnen können nicht nur Objekte ertasten, in Büchern blättern oder Schubladen herausziehen und so in die Ausstellung eingebunden werden. Durch die Möglichkeiten eigene Erfahrungen und Bilder einzubringen, werden sie selbst zu einem Teil der Ausstellung.

Im virtuellen Raum verliert die traditionelle Rollenkonstellation von MuseumsmacherInnen und BesucherInnen also an Schärfe. Die BesucherInnen können nun gleichzeitig die Rolle von KuratorInnen, ZeitzeugInnen, und RezipientInnen einnehmen. Natürlich bedarf es einer intensiven Betreuung der Foren, um Geschichtsrevisionimus und Verklärungen - oder im Fall des Wende Museum reine Ostalgie - zu verhindern. Dennoch kann man durchaus von einer Demokratisierung der geschichtspolitischen Institution Museum im virtuellen Raum sprechen.

Wie sich unsere Überlegungen nun konkret in der Gestaltung der Ausstellung widerspiegeln und ob sie überhaupt realisierbar waren, wird im nächsten Blogeintrag thematisiert werden.

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Fußnoten
[1] Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 2007, S. 15f.
[2] Urban, Andreas: Von der Gesinnungsbildung zur Erlebnisorientierung - Geschichtsvermittlung in einem kommunalen historischen Museum im 20. Jahrhundert, Schwalbach 1999, S. 153. 
[3] Leppenies, Anette: Wissen vermitteln im Museum, Köln/ Böhlau 2003, S. 61.