Wie im letzten Post beschrieben, wird die Onlineausstellung der komplexen Frage nachgehen: What is a Socialist City? In fünf inhaltlichen Themenkomplexen – Public Spaces, Private Spaces, Marketing a Socialist City, Marketplace und Social Experiences – wollen wir uns zusammen mit den BesucherInnen der Beantwortung dieser Frage nähern. Wie diese Themenkomplexe im Einzelnen aufgebaut sind und wie aus deren Verflechtungen eine sozialistische Stadt virtuell entstehen soll, wird im Folgenden erläutert werden.
Ganz allgemein ist zu sagen, dass jeweils zwei Studierende einen Themenkomplex bearbeiteten. Jedes Team setzte sich dabei zu gleichen Teilen aus Studierenden der Uni Leipzig und der Loyola Marymount University zusammen. So sollte zum einen sicher gestellt werden, dass die frische, amerikanische Perspektive in jedem Themenkomplex zum tragen kommen konnte. Zum anderen wollten wir den amerikanischen Studierenden die Möglichkeit geben, durch den persönlichen Kontakt fachliche und inhaltliche Fragen besser stellen zu können. Schließlich wurde uns vor dem Workshop versichert, dass wir uns auch als Lehrende verstehen sollten – eine zugegebenermaßen ungewohnte Rolle für uns. Da die amerikanischen Studierenden ihr Studium erst begonnen hatten, bestanden nicht nur Fragen bezüglich der Arbeit im Museum, der Ausstellungskonzeption und der Geschichte der DDR. Die Unterschiede in der fachlichen Kompetenz erschwerte die Zusammenarbeit stellenweise.
Die Raumkonstellationen der sozialistischen Stadt
Das Leben der Menschen in der Stadt verläuft in unterschiedlichen Räumen. Dem öffentlichem Raum stehen private (Frei)Räume gegenüber, wobei beide eng miteinander verflochten sind. Auch in der sozialistischen Stadt existierten diese Raumkonstellationen. Daher widmen sich zwei der fünf Themenkomplexe dem öffentlichem Raum (Public Spaces) bzw. privaten Räumen (Private Spaces).
Besonders die Gestaltung des öffentlichen Raumes – Straßen und Plätze, aber auch Häuserfassaden – wurde genauestens geplant und im Sinne von staatstragenden Doktrinen instrumentalisiert. Ob die Paraden zum 1. Mai oder die monumentalen Wandbilder der neugebauten Plattenbausiedlungen, der öffentliche Raum der sozialistischen Stadt diente vor allem der Mobilisierung und Politisierung der Bevölkerung. Diese erfolgten auf direktem Weg durch Massenveranstaltungen wie eben zum 1. Mai. Aber auch indirekt, etwa durch die Benennung von Orten. Wie in den 16 Grundsätzen des Städtebaus ersichtlich, gestanden die Stadtplaner der DDR dem öffentlichem Raum also eine erzieherische Rolle zu. In unserer Konzeption konzentrieren auch wir uns auf die Darstellung dieser offiziellen Position, wollen wir doch das charakteristisch „sozialistische“ der Stadtplanung in der DDR darstellen. Natürlich ist uns bewusst, dass der öffentliche Raum auch für Akte der Dissidenz – vom Graffiti bis zu Massenkundgebungen wie am 17. Juni 1953 – genutzt wurde. Bisher sind diese jedoch noch nicht in der Ausstellung berücksichtigt.
In der Gestaltung und dem Interieur der privaten Räume lassen sich ebenfalls Ideen und gesellschaftliche Verhältnisse der Zeit feststellen. In diesem Sinne sollte auch die Wohnung und die Wohnkultur in der DDR den Geist des Sozialismus widerspiegeln – Wohnen als Erziehungsmaßnahme also. Was Architekten und Ideologen der DDR am Reißbrett planten, ging in Wirklichkeit nur selten auf. Materialknappheit und Produktionsprobleme die im „real existierenden Sozialismus“ allgegenwärtig waren, zwangen sie zu gewissen Kompromissen. Auch war es den Menschen in ihren eigenen vier Wänden einfacher möglich, sich der Kontrolle des Staates zu entziehen. Obwohl Publikationen wie „Kultur im Heim“ den Menschen eine sozialistische Wohnkultur näher bringen wollten, war die Wohnung ein Rückzugsort und Freiraum. So zeigen wir auf, das anders als im öffentlichem Raum, der ideologische Zugriff auf privaten Räume in der DDR von wesentlich geringerem Erfolg gekrönt war. Damit wollen wir auch das Dogma, die DDR sei eine durch und durch „durchherrschte“ Gesellschaft gewesen, kritisch hinterfragen.
Vom Kaufen und Verkaufen des „real existierenden Sozialismus“
Der Alltag der Menschen in der DDR spielt in unserer Austellungskonzeption eine zentrale Rolle. Schließlich wollen wir die sozialistische Stadt als sozialen Erfahrungsraum untersuchen. Daher beschäftigt sich der Themenkomplex Marketplace mit der Konsumkultur in der DDR. Die Ausstellung wirft dabei die Frage auf, ob das Vorhandensein bzw. der Mangel von bestimmten Konsumgütern wesentlicher zur Identitätsbildung der Menschen in der DDR beitrug, als die Indoktrinationsversuche der staatlich organisierten Massenveranstaltungen. Konsumgüter wie das Radio bildeten außerdem eine direkte Verbindung von öffentlichem und privatem Raum. Um diese inhaltlichen Verbindungen darzustellen, verweisen bestimmte Objekte eines Themenkomplexes der Onlineausstellung auf einen anderen. So verweist das Radio in Marketplace etwa auf einen Themenbereich unter Private Spaces, der sich mit Musik beschäftigt. Dadurch können sich die BesucherInnen über Verlinkungen selbstständig durch die Ausstellung klicken und so ihren eigenen Weg durch die virtuelle Stadt wählen.
Die Idee der sozialistischen Stadt musste natürlich auch nach außen hin repräsentiert werden – sowohl den in der DDR lebenden Menschen als auch einem internationalen Publikum. Wie dies konkret ablief, ergründen wir im Themenkomplex Marketing a Socialist City. Repräsentative Medien gab es viele: In Touristenbroschüren oder durch Monumente wie den in fast jeder Stadt zu findenden Ernst-Thälmann-Denkmälern wurden die Geschichte und vermeintlichen Errungenschaften des Sozialismus thematisiert. Uns erschien es in diesem Zusammenhang besonders interessant, wie von offizieller Seite ein Selbstbildnis der DDR erschaffen wurde, das zwar den ideologischen nicht aber den reellen Gegebenheiten entsprach. Die sozialistische Stadt nahm eine zentrale Rolle in diesem Selbstbildnis ein. Gerade die neugebauten Gebäude, Parks und Monumente in den Städten der DDR bezeugten nach Meinung der politischen Führung die Erfolge und historische Notwendigkeit des „real existierenden Sozialismus.“ Tourismus wurde so zu einem Mittel der Propaganda.
Den fünften Themenkomplex, der alle anderen wie der sprichwörtliche rote Faden durchzieht, haben wir Social Experiences genannt. Hier thematisieren wir wie soziale, gesellschaftliche und generationsbezogene Kategorien wie Gender, Alter und sozialer Status in der sozialistischen Stadt und Gesellschaft der DDR konditioniert waren. Dabei wollen wir vor allem DDR-Gründungsmythen, wie die der klassenlosen Gesellschaft etwa, dekonstruieren. Besonders in diesem Teil der Ausstellung soll dadurch nochmals deutlich werden, wie weit das von der staatstragenden Ideologie der DDR gespeiste Selbstbildnis der Gesellschaft von den realen Erfahrungswelten der Menschen abwich.
Ausgehend davon sollen sich die BesucherInnen zum einen die Frage stellen, ob die sozialistische Stadt nicht nur auf dem Papier bzw. in den Köpfen ihrer Ideologen existiert hat. Zum anderen wollen wir sie dazu anregen, unsere Themenkomplexe auf ihren eigenen sozialen Erfahrungsraum anzuwenden. Wie wird der öffentliche Raum einer heutigen Stadt genutzt? Welche Rolle spielen Konsum und Konsumgüter in unserem Leben? Wo finden sich heute noch Parallelen aber auch Unterschiede zu den offiziellen Positionen und realen Gegebenheiten städtischen Lebens in der DDR?