Nachdem wir uns Ende 2009 enthusiastisch entschieden hatten, zusammen ein Projekt in Los Angeles anzuschieben, war uns weder bewusst, welch organisatorischer Aufwand diesem Entschluss folgen sollte noch was wir inhaltlich bearbeiten wollten. Um letzteres soll es in diesem Beitrag gehen.
Als wir zusammen mit unserem ehemaligen Dozenten von „Geschichte im Museum“ Leonard Schmieding begannen mit dem Wende Museum Kontakt aufzunehmen, traten wir dort zu diesem Zeitpunkt offene Türen ein. Diese recht neue Institution befand und befindet sich nach wie vor im Aufbau und plant seine Präsenz in der Öffentlichkeit zu verstärken. Dazu gehörte auch ein Relaunch der Homepage, zu der wir ein Pilotprojekt in Form einer Online-Ausstellung beisteuern sollten. Der grobe inhaltliche Rahmen stand schnell fest: Thematisch sollten wir uns mit dem Konzept und den Versuchen der Realisierung der „Sozialistischen Stadt“ in der DDR beschäftigen.
Das Wende Museum beschreibt sich selbst als „hybrid organization, simultaneously an archive of material culture and educational institution“, deren Sammlung sich auf „preservation of cultural, political artifacts and documentary materials that are at-risk or are critical to scholarly investigation, and personal artifacts and histories that capture the lived experience beneath the ideological battles and geopolitical struggles of the Cold War“ konzentriert. Mittlerweile besteht das Archiv aus über 60.000 Objekten und wird ständig erweitert. Momentan befindet sich sein Standort noch in einer Lagerhalle in einem Gewerbegebiet von Culver City, einer Stadt in der Los Angeles Metropolitan Area.
Der „real existierende Sozialismus“ als sozialer Erfahrungsraum
Ein Vorteil dieser Institution ist, dass wir uns in Los Angeles relativ frei vom deutschen Erinnerungsdiskurs bewegen konnten, der zwischen einer starken Fokussierung auf der Repression durch die Staatsorgane der DDR, dem Widerstand der Bürgerbewegung und der Überwindung des Regimes 1989 sowie unkritischer Ostalgie hin und her pendelt. Kultur-, alltags- und erfahrungsgeschichtliche Ansätze haben es in Deutschland im Bezug auf die Erforschung der DDR – trotz der Empfehlungen der„Sabrow-Kommission“ – bisher noch recht schwer, auf breite Akzeptanz zu stoßen. Da das Wende Museum dem deutschen Diskurs natürlich nicht unterworfen ist, galt auch für uns abgewandelt auf das politische System der DDR das Credo des Anthropologen Alexei Yurchak, der im Bezug auf die späte Sowjetunion treffend schrieb:
„The Soviet system produced tremendous suffering, repression, fear and lack of freedom, all of which are well documented. But focusing only on that side of the system will not take us very far if we want to answer the question […] about the internal paradoxes of life under socialism. What tends to get lost in the binary accounts is the crucial and seemingly paradoxical fact that, for great numbers of Soviet citizens, many of the fundamental values, ideals, and realities of socialist life […] were of genuine importance, despite the fact that many of their everyday practices routinely transgressed, reinterpreted, or refused certain norms and rules represented in the official ideology of the socialist state. For many of them, „socialism“ as a system of human values and as an everyday reality of „normal life“ […] was not necessarily equivalent to „the state“ or „ideology“; indeed, living socialism to them often meant something quite different from the official interpretations provided by state rhetoric.“ [1]
Uns interessierte primär die Utopie einer „Sozialistischen Stadt“: Was bedeutete sie im zeitlichen Kontext der 1950er bis 1970er Jahre und wie sahen die Umsetzungen aus? Wer sollte in einer sozialistischen Planstadt leben und wie versuchte die DDR-Regierung ihre Vorstellungen durch gezielte Stadtplanung, Wohn- und Familienpolitik durchzusetzen. Gleichzeitig wollten wir die durch die politischen Rahmenbedingungen geschaffenen sozialen Erfahrungsräume der BewohnerInnen näher beleuchten: Welche soziale, geschlechterbezogene und generationsspezifische Zusammensetzung gab es? Wie gestaltete sich das Leben etwa in Halle-Neustadt, der Stalinallee in Berlin oder in Eisenhüttenstadt? Aus diesen grundsätzlichen Fragen generierten wir während der ersten Woche in Los Angeles fünf thematische Stränge, die wir zusammen mit den amerikanischen Studierenden in der Folgezeit bearbeiteten: Privat Spaces, Public Spaces, Marketing a Socialist City, Marketplace und Social Experiences. Was dies im Einzelnen beinhaltete, wird im nächsten Post zu erfahren sein.
Web 2.0, Museum und die Aura der Dinge
Parallel zu den historischen Inhalten und methodischen Ansätzen machten wir uns Gedanken über das Konzept einer Online-Ausstellung. Schwierigkeiten sahen wir vor allem in der Einbindung des Betrachtenden. Während in einem klassischen Ausstellungskonzept ein Objekt dreidimensional erfahrbar wird und so, laut Walter Benjamin, seine auratische Wirkung entfalten kann, ist dieser Effekt digital kaum herstellbar. Zwar gibt es Möglichkeiten, auch im Internet 3D-Objekte [2] zu erschaffen, doch diese Idee mussten wir gleich zu Beginn aufgrund der geringen finanziellen und technischen Möglichkeiten verwerfen. Wir mussten also eine andere Strategie finden, um eine Online-Ausstellung interessant und attraktiv zu gestalten.
Recht schnell konzentrierte sich die Diskussion innerhalb der Gruppe auf die partizipativen Chancen des Web 2.0 und auf das veränderte Konsumverhalten durch das Internet. Uns schwebte vor dem Aufbruch an die US-amerikanische Westküste ein recht ambitioniertes Projekt vor, das eine Mischung aus Ausstellung und bilingualem Diskussionsforum über die Kulturgeschichte der „Sozialistischen Stadt“ darstellen sollte. Dabei wollten wir den Betrachtenden die Möglichkeit geben, der Webpage selbstständig weitere Objekte hinzuzufügen und zur Diskussion zu stellen. Wir und/oder das Wende Museum sollten dabei lediglich als Moderierende des Diskurses fungieren.
Spannend fanden wir die Idee, dass ehemalige BewohnerInnen der realsozialistischen Planstädte, Menschen aus der alten BRD und anderen deutschsprachigen Gebieten sowie englischsprachige NutzerInnen in einen kritischen Erfahrungsaustausch treten könnten. Ziel sollte schlussendlich ein offener, womöglich transatlantischer Diskussionsprozess sein, dessen Entwicklung und Richtung wir v.a. als kritische BeobachterInnen begleiten wollten, statt top-down einige gelehrige Betrachtungen vorzugeben.
Ob sich dieser Anspruch bis zum Ende durchhalten ließ und welche inhaltliche und konzeptionelle Ausrichtung die bald das Licht der Öffentlichkeit erblickende Ausstellung haben wird, ist Inhalt des nächsten Teils dieser kleinen Serie.
Fußnoten
[1] Yurchak, Alexei: Everything Was Forever, Until It Was No More. The Last Soviet Generation, Princeton 2006, S. 8.
[2] Ein sehr beeindruckendes Beispiel für die Möglichkeiten eines virtuellen Museums bietet das Adobe Museum of Digital Media, das zeigt in welche Richtung zukünftige Nutzungen des Internets vor allem technisch und ästhetisch gehen könnten.