Samstag, 3. September 2011

Lost in Virtual Space - Überlegungen zur Museumsdidaktik 2.0





Der virtuelle Raum als Inszenierungsort einer Ausstellung verlangt nach didaktischen Überlegungen, wie man sie so in einem traditionellen Museum nicht anstellen muss. Die Möglichkeiten des Web 2.0 erlauben es den AustellungsmacherInnen gleichzeitig von traditionellen Rollenkonstellationen in der Museumsdidaktik abzurücken, ja verlangen es geradezu. Durch Interaktionsmöglichkeiten können die RezipientInnen als handelnde Personen in den Mittelpunkt des Ausstellungskonzepts gestellt werden. Die Objekte als Erinnerungsträger und Verkörperung historischer Ereignisse verlieren durch die Übertragung über einen Bildschirm jedoch die den Museumsraum traditionell auszeichnende Aura. Statt Originale sind bloße Abbilder die Semiophoren des virtuellen Raums.

Auch wir sahen uns mit den Problemen und Chancen des virtuellen Raumes konfrontiert. In diesem Blogeintrag soll es daher um einige didaktische Überlegungen gehen, die wir um Zuge unserer Ausstellungskonzeption angestellt haben.

Die Weiten und Grenzen des virtuellen Raumes

Ein eher praktisches Problem für die Museumsdidaktik ergibt sich aus der Weite des virtuellen Raumes. Eine traditionelle Ausstellung wird durch die Räumlichkeiten des Museums begrenzt. Die BesucherInnen sind an einen bestimmten Ort gebunden, an dem sie zwangsläufig mit den Inhalten der Ausstellung konfrontiert werden. Darüber hinaus entfaltet der Raum selbst eine auratische Wirkung. Raum und Inhalt einer traditionellen Ausstellung korrespondieren somit willentlich oder unwillentlich miteinander. Im WWW geht sowohl die physische Begrenzung als auch die auratische Wirkung des Raumes verloren. Andere Internetseiten können einfach per Mausklick geöffnet werden. Die BesucherInnen können die virtuelle Ausstellung somit jederzeit verlassen und sich in Sekunden anderen Inhalten zuwenden.

Wir mussten uns daher überlegen, wie wir die BesucherInnen auf den Websites unserer Ausstellung halten können. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass dies nur durch die aktive Einbindung der BesucherInnen und den Einsatz von multimedialen Inhalten möglich ist. Hier spielen uns die Vorteile des Web 2.0 in die Hände. Ob Video- oder Audiostreams, Textfelder oder Bilder, in einer virtuellen Ausstellung können diese Medien miteinander verknüpft werden. Per Mausklick können die BesucherInnen selbst auswählen, welche Medienelemente sie sich näher anschauen wollen. In diesem Zusammenhang haben wir ganz stark auf die Interaktion der BesucherInnen gesetzt, um diese direkt in die Ausstellung einzubinden. So können die BesucherInnen, indem sie bestimmten Verlinkungsstrukturen folgen, ihren eigenen Weg durch die Ausstellung wählen und selbst Schwerpunkte setzen. Dies soll vordergründig interessensorientiert erfolgen, den BesucherInnen jedoch auch den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext eines bestimmten Objekts durch Verlinkungen zu anderen Themenbereichen der Ausstellung aufzeigen.

Die Verlinkungen dienen dabei dazu, die historischen Verweisungsstrukturen eines Objekts virtuell nachzuempfinden. Dadurch soll, ganz im Sinne Walter Benjamins [1], die Aura eines Objektes durch den Einsatz verschiedener multimedialer Ebenen künstlich erzeugt werden. Denn dadurch, dass wir nur virtuelle Abbilder von Originalen präsentieren können, geht die Aura eines Objekts und deren Wirkung auf die BesucherInnen verloren. Sounddateien, Videosequenzen und begleitendes Text- und Bildmaterial sollen diesem Verfall der Aura Einhalt gebieten. Völlig reproduzieren lässt sie sich freilich nicht. Hierin liegt sicherlich eine der Grenzen des Inszenierungsortes virtueller Raum.

Hands-on, minds-on per Tastatur und Maus

Wie Andreas Urban festgestellt hat, liegt „die Qualität des Museums [...] in der Bildhaftigkeit, im Veranschaulichungspotential, nicht in der Fähigkeit zur wissenschaftlichen Diskussion eines Sachverhalts.“ [2] Was auf das traditionelle Museum zutreffen mag, verliert im virtuellen Raum etwas an Schärfe. Natürlich ist die Bildhaftigkeit der Objekte noch immer das zentrale didaktische Mittel einer Ausstellung im Web 2.0. Jedoch wird eben diese Bildhaftigkeit durch die fehlende materielle Dinglichkeit und physische Ferne der Objekte eingeschränkt. Das Abbild eines Objektes auf dem Bildschirm kann eben nicht das eigentliche Objekt ersetzen.

Der virtuelle Raum eignet sich dagegen bestens dazu, Diskussionen zu Inhalten der Ausstellung auf unterschiedlichen Ebenen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang hatten wir die Idee, die BesucherInnen direkt in diese Diskussionen mit einzubeziehen; eine Möglichkeit, die in einem traditionellen Museum so nicht gegeben ist. Es sei denn durch Gästebücher oder aufgestellte Computer und Multimediastationen oder neuere interaktive Formen von Multimediaguides – die aber ihrerseits das Museum in den virtuellen Raum hinein erweitern.

Durch die Integration von Social Media Elementen wie Foren oder die Möglichkeit zum Upload eigener Dateien, können die BesucherInnen selbst einen Teil der Ausstellung mitgestalten bzw. kommentieren. Ganz gleich ob sie Ausstellungsinhalte nur kommentieren oder eigene Fotos und Videos im Forum posten. Dank Web 2.0 können die BesucherInnen selbst zu AusstellungsmacherInnen werden. Auf diese Weise kann Annette Leppenies Forderung, die Prinzipien des “hands-on” “minds-on” ins Zentrum der Museumsdidaktik zustellen, wird somit noch eine Stufe weitergetrieben. [3] Die BesucherInnen können nicht nur Objekte ertasten, in Büchern blättern oder Schubladen herausziehen und so in die Ausstellung eingebunden werden. Durch die Möglichkeiten eigene Erfahrungen und Bilder einzubringen, werden sie selbst zu einem Teil der Ausstellung.

Im virtuellen Raum verliert die traditionelle Rollenkonstellation von MuseumsmacherInnen und BesucherInnen also an Schärfe. Die BesucherInnen können nun gleichzeitig die Rolle von KuratorInnen, ZeitzeugInnen, und RezipientInnen einnehmen. Natürlich bedarf es einer intensiven Betreuung der Foren, um Geschichtsrevisionimus und Verklärungen - oder im Fall des Wende Museum reine Ostalgie - zu verhindern. Dennoch kann man durchaus von einer Demokratisierung der geschichtspolitischen Institution Museum im virtuellen Raum sprechen.

Wie sich unsere Überlegungen nun konkret in der Gestaltung der Ausstellung widerspiegeln und ob sie überhaupt realisierbar waren, wird im nächsten Blogeintrag thematisiert werden.

Teil I | Teil II | Teil III

Fußnoten
[1] Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 2007, S. 15f.
[2] Urban, Andreas: Von der Gesinnungsbildung zur Erlebnisorientierung - Geschichtsvermittlung in einem kommunalen historischen Museum im 20. Jahrhundert, Schwalbach 1999, S. 153. 
[3] Leppenies, Anette: Wissen vermitteln im Museum, Köln/ Böhlau 2003, S. 61.

Sonntag, 14. August 2011

Contentwise – In Search of the Socialist City





Wie im letzten Post beschrieben, wird die Onlineausstellung der komplexen Frage nachgehen: What is a Socialist City? In fünf inhaltlichen Themenkomplexen – Public Spaces, Private Spaces, Marketing a Socialist City, Marketplace und Social Experiences – wollen wir uns zusammen mit den BesucherInnen der Beantwortung dieser Frage nähern. Wie diese Themenkomplexe im Einzelnen aufgebaut sind und wie aus deren Verflechtungen eine sozialistische Stadt virtuell entstehen soll, wird im Folgenden erläutert werden.

Ganz allgemein ist zu sagen, dass jeweils zwei Studierende einen Themenkomplex bearbeiteten. Jedes Team setzte sich dabei zu gleichen Teilen aus Studierenden der Uni Leipzig und der Loyola Marymount University zusammen. So sollte zum einen sicher gestellt werden, dass die frische, amerikanische Perspektive in jedem Themenkomplex zum tragen kommen konnte. Zum anderen wollten wir den amerikanischen Studierenden die Möglichkeit geben, durch den persönlichen Kontakt fachliche und inhaltliche Fragen besser stellen zu können. Schließlich wurde uns vor dem Workshop versichert, dass wir uns auch als Lehrende verstehen sollten – eine zugegebenermaßen ungewohnte Rolle für uns. Da die amerikanischen Studierenden ihr Studium erst begonnen hatten, bestanden nicht nur Fragen bezüglich der Arbeit im Museum, der Ausstellungskonzeption und der Geschichte der DDR. Die Unterschiede in der fachlichen Kompetenz erschwerte die Zusammenarbeit stellenweise.

Die Raumkonstellationen der sozialistischen Stadt

Das Leben der Menschen in der Stadt verläuft in unterschiedlichen Räumen. Dem öffentlichem Raum stehen private (Frei)Räume gegenüber, wobei beide eng miteinander verflochten sind. Auch in der sozialistischen Stadt existierten diese Raumkonstellationen. Daher widmen sich zwei der fünf Themenkomplexe dem öffentlichem Raum (Public Spaces) bzw. privaten Räumen (Private Spaces).

Besonders die Gestaltung des öffentlichen Raumes – Straßen und Plätze, aber auch Häuserfassaden – wurde genauestens geplant und im Sinne von staatstragenden Doktrinen instrumentalisiert. Ob die Paraden zum 1. Mai oder die monumentalen Wandbilder der neugebauten Plattenbausiedlungen, der öffentliche Raum der sozialistischen Stadt diente vor allem der Mobilisierung und Politisierung der Bevölkerung. Diese erfolgten auf direktem Weg durch Massenveranstaltungen wie eben zum 1. Mai. Aber auch indirekt, etwa durch die Benennung von Orten. Wie in den 16 Grundsätzen des Städtebaus ersichtlich, gestanden die Stadtplaner der DDR dem öffentlichem Raum also eine erzieherische Rolle zu. In unserer Konzeption konzentrieren auch wir uns auf die Darstellung dieser offiziellen Position, wollen wir doch das charakteristisch „sozialistische“ der Stadtplanung in der DDR darstellen. Natürlich ist uns bewusst, dass der öffentliche Raum auch für Akte der Dissidenz – vom Graffiti bis zu Massenkundgebungen wie am 17. Juni 1953 – genutzt wurde. Bisher sind diese jedoch noch nicht in der Ausstellung berücksichtigt.

In der Gestaltung und dem Interieur der privaten Räume lassen sich ebenfalls Ideen und gesellschaftliche Verhältnisse der Zeit feststellen. In diesem Sinne sollte auch die Wohnung und die Wohnkultur in der DDR den Geist des Sozialismus widerspiegeln – Wohnen als Erziehungsmaßnahme also. Was Architekten und Ideologen der DDR am Reißbrett planten, ging in Wirklichkeit nur selten auf. Materialknappheit und Produktionsprobleme die im „real existierenden Sozialismus“ allgegenwärtig waren, zwangen sie zu gewissen Kompromissen. Auch war es den Menschen in ihren eigenen vier Wänden einfacher möglich, sich der Kontrolle des Staates zu entziehen. Obwohl Publikationen wie „Kultur im Heim“ den Menschen eine sozialistische Wohnkultur näher bringen wollten, war die Wohnung ein Rückzugsort und Freiraum. So zeigen wir auf, das anders als im öffentlichem Raum, der ideologische Zugriff auf privaten Räume in der DDR von wesentlich geringerem Erfolg gekrönt war. Damit wollen wir auch das Dogma, die DDR sei eine durch und durch „durchherrschte“ Gesellschaft gewesen, kritisch hinterfragen.

Vom Kaufen und Verkaufen des „real existierenden Sozialismus“

Der Alltag der Menschen in der DDR spielt in unserer Austellungskonzeption eine zentrale Rolle. Schließlich wollen wir die sozialistische Stadt als sozialen Erfahrungsraum untersuchen. Daher beschäftigt sich der Themenkomplex Marketplace mit der Konsumkultur in der DDR. Die Ausstellung wirft dabei die Frage auf, ob das Vorhandensein bzw. der Mangel von bestimmten Konsumgütern wesentlicher zur Identitätsbildung der Menschen in der DDR beitrug, als die Indoktrinationsversuche der staatlich organisierten Massenveranstaltungen. Konsumgüter wie das Radio bildeten außerdem eine direkte Verbindung von öffentlichem und privatem Raum. Um diese inhaltlichen Verbindungen darzustellen, verweisen bestimmte Objekte eines Themenkomplexes der Onlineausstellung auf einen anderen. So verweist das Radio in Marketplace etwa auf einen Themenbereich unter Private Spaces, der sich mit Musik beschäftigt. Dadurch können sich die BesucherInnen über Verlinkungen selbstständig durch die Ausstellung klicken und so ihren eigenen Weg durch die virtuelle Stadt wählen.

Die Idee der sozialistischen Stadt musste natürlich auch nach außen hin repräsentiert werden – sowohl den in der DDR lebenden Menschen als auch einem internationalen Publikum. Wie dies konkret ablief, ergründen wir im Themenkomplex Marketing a Socialist City. Repräsentative Medien gab es viele: In Touristenbroschüren oder durch Monumente wie den in fast jeder Stadt zu findenden Ernst-Thälmann-Denkmälern wurden die Geschichte und vermeintlichen Errungenschaften des Sozialismus thematisiert. Uns erschien es in diesem Zusammenhang besonders interessant, wie von offizieller Seite ein Selbstbildnis der DDR erschaffen wurde, das zwar den ideologischen nicht aber den reellen Gegebenheiten entsprach. Die sozialistische Stadt nahm eine zentrale Rolle in diesem Selbstbildnis ein. Gerade die neugebauten Gebäude, Parks und Monumente in den Städten der DDR bezeugten nach Meinung der politischen Führung die Erfolge und historische Notwendigkeit des „real existierenden Sozialismus.“ Tourismus wurde so zu einem Mittel der Propaganda.

Den fünften Themenkomplex, der alle anderen wie der sprichwörtliche rote Faden durchzieht, haben wir Social Experiences genannt. Hier thematisieren wir wie soziale, gesellschaftliche und generationsbezogene Kategorien wie Gender, Alter und sozialer Status in der sozialistischen Stadt und Gesellschaft der DDR konditioniert waren. Dabei wollen wir vor allem DDR-Gründungsmythen, wie die der klassenlosen Gesellschaft etwa, dekonstruieren. Besonders in diesem Teil der Ausstellung soll dadurch nochmals deutlich werden, wie weit das von der staatstragenden Ideologie der DDR gespeiste Selbstbildnis der Gesellschaft von den realen Erfahrungswelten der Menschen abwich.

Ausgehend davon sollen sich die BesucherInnen zum einen die Frage stellen, ob die sozialistische Stadt nicht nur auf dem Papier bzw. in den Köpfen ihrer Ideologen existiert hat. Zum anderen wollen wir sie dazu anregen, unsere Themenkomplexe auf ihren eigenen sozialen Erfahrungsraum anzuwenden. Wie wird der öffentliche Raum einer heutigen Stadt genutzt? Welche Rolle spielen Konsum und Konsumgüter in unserem Leben? Wo finden sich heute noch Parallelen aber auch Unterschiede zu den offiziellen Positionen und realen Gegebenheiten städtischen Lebens in der DDR?

Abgesehen von der Vermittlung von Geschichte soll unsere Ausstellung die BesucherInnen also auch dazu anregen, über ihre eigenen sozialen Praktiken und Erfahrungsräume kritisch zu reflektieren. Um weitere didaktische Überlegungen wird es im nächsten Blog-Eintrag gehen.

Teil I | Teil II | Teil IV

Donnerstag, 23. Juni 2011

Material Culture in a Digital Space




 
Nachdem wir uns Ende 2009 enthusiastisch entschieden hatten, zusammen ein Projekt in Los Angeles anzuschieben, war uns weder bewusst, welch organisatorischer Aufwand diesem Entschluss folgen sollte noch was wir inhaltlich bearbeiten wollten. Um letzteres soll es in diesem Beitrag gehen.

Als wir zusammen mit unserem ehemaligen Dozenten von „Geschichte im Museum“ Leonard Schmieding begannen mit dem Wende Museum Kontakt aufzunehmen, traten wir dort zu diesem Zeitpunkt offene Türen ein. Diese recht neue Institution befand und befindet sich nach wie vor im Aufbau und plant seine Präsenz in der Öffentlichkeit zu verstärken. Dazu gehörte auch ein Relaunch der Homepage, zu der wir ein Pilotprojekt in Form einer Online-Ausstellung beisteuern sollten. Der grobe inhaltliche Rahmen stand schnell fest: Thematisch sollten wir uns mit dem Konzept und den Versuchen der Realisierung der „Sozialistischen Stadt“ in der DDR beschäftigen.

Das Wende Museum beschreibt sich selbst als „hybrid organization, simultaneously an archive of material culture and educational institution“, deren Sammlung sich auf „preservation of cultural, political artifacts and documentary materials that are at-risk or are critical to scholarly investigation, and personal artifacts and histories that capture the lived experience beneath the ideological battles and geopolitical struggles of the Cold War konzentriert. Mittlerweile besteht das Archiv aus über 60.000 Objekten und wird ständig erweitert. Momentan befindet sich sein Standort noch in einer Lagerhalle in einem Gewerbegebiet von Culver City, einer Stadt in der Los Angeles Metropolitan Area.

Der „real existierende Sozialismus“ als sozialer Erfahrungsraum

Ein Vorteil dieser Institution ist, dass wir uns in Los Angeles relativ frei vom deutschen Erinnerungsdiskurs bewegen konnten, der zwischen einer starken Fokussierung auf der Repression durch die Staatsorgane der DDR, dem Widerstand der Bürgerbewegung und der Überwindung des Regimes 1989 sowie unkritischer Ostalgie hin und her pendelt. Kultur-, alltags- und erfahrungsgeschichtliche Ansätze haben es in Deutschland im Bezug auf die Erforschung der DDR – trotz der Empfehlungen der„Sabrow-Kommission“ – bisher noch recht schwer, auf breite Akzeptanz zu stoßen. Da das Wende Museum dem deutschen Diskurs natürlich nicht unterworfen ist, galt auch für uns abgewandelt auf das politische System der DDR das Credo des Anthropologen Alexei Yurchak, der im Bezug auf die späte Sowjetunion treffend schrieb:
„The Soviet system produced tremendous suffering, repression, fear and lack of freedom, all of which are well documented. But focusing only on that side of the system will not take us very far if we want to answer the question […] about the internal paradoxes of life under socialism. What tends to get lost in the binary accounts is the crucial and seemingly paradoxical fact that, for great numbers of Soviet citizens, many of the fundamental values, ideals, and realities of socialist life […] were of genuine importance, despite the fact that many of their everyday practices routinely transgressed, reinterpreted, or refused certain norms and rules represented in the official ideology of the socialist state. For many of them, „socialism“ as a system of human values and as an everyday reality of „normal life“ […] was not necessarily equivalent to „the state“ or „ideology“; indeed, living socialism to them often meant something quite different from the official interpretations provided by state rhetoric.“ [1]
Uns interessierte primär die Utopie einer „Sozialistischen Stadt“: Was bedeutete sie im zeitlichen Kontext der 1950er bis 1970er Jahre und wie sahen die Umsetzungen aus? Wer sollte in einer sozialistischen Planstadt leben und wie versuchte die DDR-Regierung ihre Vorstellungen durch gezielte Stadtplanung, Wohn- und Familienpolitik durchzusetzen. Gleichzeitig wollten wir die durch die politischen Rahmenbedingungen geschaffenen sozialen Erfahrungsräume der BewohnerInnen näher beleuchten: Welche soziale, geschlechterbezogene und generationsspezifische Zusammensetzung gab es? Wie gestaltete sich das Leben etwa in Halle-Neustadt, der Stalinallee in Berlin oder in Eisenhüttenstadt? Aus diesen grundsätzlichen Fragen generierten wir während der ersten Woche in Los Angeles fünf thematische Stränge, die wir zusammen mit den amerikanischen Studierenden in der Folgezeit bearbeiteten: Privat Spaces, Public Spaces, Marketing a Socialist City, Marketplace und Social Experiences. Was dies im Einzelnen beinhaltete, wird im nächsten Post zu erfahren sein.

Web 2.0, Museum und die Aura der Dinge

Parallel zu den historischen Inhalten und methodischen Ansätzen machten wir uns Gedanken über das Konzept einer Online-Ausstellung. Schwierigkeiten sahen wir vor allem in der Einbindung des Betrachtenden. Während in einem klassischen Ausstellungskonzept ein Objekt dreidimensional erfahrbar wird und so, laut Walter Benjamin, seine auratische Wirkung entfalten kann, ist dieser Effekt digital kaum herstellbar. Zwar gibt es Möglichkeiten, auch im Internet 3D-Objekte [2] zu erschaffen, doch diese Idee mussten wir gleich zu Beginn aufgrund der geringen finanziellen und technischen Möglichkeiten verwerfen. Wir mussten also eine andere Strategie finden, um eine Online-Ausstellung interessant und attraktiv zu gestalten.

Recht schnell konzentrierte sich die Diskussion innerhalb der Gruppe auf die partizipativen Chancen des Web 2.0 und auf das veränderte Konsumverhalten durch das Internet. Uns schwebte vor dem Aufbruch an die US-amerikanische Westküste ein recht ambitioniertes Projekt vor, das eine Mischung aus Ausstellung und bilingualem Diskussionsforum über die Kulturgeschichte der „Sozialistischen Stadt“ darstellen sollte. Dabei wollten wir den Betrachtenden die Möglichkeit geben, der Webpage selbstständig weitere Objekte hinzuzufügen und zur Diskussion zu stellen. Wir und/oder das Wende Museum sollten dabei lediglich als Moderierende des Diskurses fungieren.

Spannend fanden wir die Idee, dass ehemalige BewohnerInnen der realsozialistischen Planstädte, Menschen aus der alten BRD und anderen deutschsprachigen Gebieten sowie englischsprachige NutzerInnen in einen kritischen Erfahrungsaustausch treten könnten. Ziel sollte schlussendlich ein offener, womöglich transatlantischer Diskussionsprozess sein, dessen Entwicklung und Richtung wir v.a. als kritische BeobachterInnen begleiten wollten, statt top-down einige gelehrige Betrachtungen vorzugeben.

Ob sich dieser Anspruch bis zum Ende durchhalten ließ und welche inhaltliche und konzeptionelle Ausrichtung die bald das Licht der Öffentlichkeit erblickende Ausstellung haben wird, ist Inhalt des nächsten Teils dieser kleinen Serie.


Fußnoten
[1] Yurchak, Alexei: Everything Was Forever, Until It Was No More. The Last Soviet Generation, Princeton 2006, S. 8.
[2] Ein sehr beeindruckendes Beispiel für die Möglichkeiten eines virtuellen Museums bietet das Adobe Museum of Digital Media, das zeigt in welche Richtung zukünftige Nutzungen des Internets vor allem technisch und ästhetisch gehen könnten.

Mittwoch, 15. Juni 2011

The Past is a Foreign Country





Lang, lang ist‘s her, dass wir uns hier das letzte Mal zu unserer Reise geäußert haben. Seither ist natürlich viel passiert: Unser Ausstellungsprojekt steht kurz vor dem Gang in die Weiten des Internets und ist damit für alle einsehbar und frei für Anmerkungen, Kritik und Diskussionen. Doch wie wir ein bisschen verschämt feststellen mussten, haben wir es während der Reise tunlichst vermieden überhaupt irgendetwas zu unserem Projekt, der Idee dazu und den Werdegang zu schreiben. Das sei hiermit in mehreren Teilen nachgeholt. Besser spät als nie.

Natürlich begann das Projekt nicht mit der Reise nach Los Angeles, sondern hatte eine ziemlich lange Vorlaufzeit. Begonnen hat alles im Sommersemester 2009, als wir Leonard Schmiedings Seminar „Geschichte im Museum“ an der Uni Leipzig besuchten. Dort trafen wir zum ersten Mal aufeinander und beschäftigten uns mit dem Museum als Ort des Ausstellens, Bewahrens und Sammelns. Inhaltlich erstreckte sich das Seminar von Theorien der Kulturgeschichte und des Darstellens über die Geschichte des Museums bis zu didaktischen Überlegungen und transnationalen, postmodernen und popkulturellen Aspekten des Ausstellens. Den Abschluss bildete eine Exkursion ins Schlesische Museum zu Görlitz, wo wir einen so genannten Sommerstecken als Semiophore erhielten, zu dem wir als Gruppenprojekt einen Inszenierungsvorschlag erarbeiteten. Der Fokus lag zum einen bei den Prozessen der Erinnerung sowie deren Konstruktionscharakter und zum anderen auf den Möglichkeiten des konstruktivistischen Museums [1] und Überlegungen Walter Benjamins zum Begriff der Aura [2] und des Schock-Effekts.

Im Laufe des Semesters hielt Justinian Jampol, der Leiter des Wende Museums and Archive for the Cold War, einen Vortrag über seine Institution und erwähnte die Möglichkeit ein Praktikum in Los Angeles absolvieren zu können. Nach dem Ende des Semesters und der erfolgreichen Zusammenarbeit in unserer Projektgruppe beschlossen wir, das Angebot wahrzunehmen und begannen mit den Planungen für einen Workshop, an dem auch amerikanische Studierende teilnehmen sollten. Längere Verhandlungen und einige Wendungen später konnten wir Elizabeth Drummond von der privaten katholischen Loyola Marymount University dafür gewinnen, eine Gruppe von undergraduate students zusammenzustellen, die mit uns das Projekt durchführen wollten.

Nach gut einem Jahr des Planens, anstrengender Suche nach Geldgebern und intensiver inhaltlicher Vorbereitung – mittlerweile kristallisierte sich die „Sozialistische Stadt“ als thematischer Kern heraus – konnten wir am 5. September 2010 die Taschen packen und an die kalifornische Westküste fliegen.

Für gewöhnlich gestaltete sich die Zeit in Los Angeles wie folgt: Zweimal in der Woche trafen wir uns mit den amerikanischen Studierenden und sprachen sowohl über theoretische als auch inhaltliche Punkte des Projekts. Im Gegensatz zu uns mussten die Studierenden der LMU noch weitere Studienleistungen erbringen, was neben der Sprachbarriere sowie den großen Unterschieden im Wissen um DDR-Geschichte, Museum und Theorien der Darstellung die Zusammenarbeit etwas erschwerte. Ziel war es, dass die Online-Ausstellung von fünf Teams mit je einem deutschen und einem amerikanischen Studierenden erarbeitet wird. In der Realität war das Arbeitspensum etwas ungleich verteilt. Wir konnten uns auch in der restlichen Woche inhaltlich mit dem Projekt beschäftigen, während sich die amerikanischen Studierenden erst einmal das nötige Hintergrundwissen aneignen mussten (z.T. vermittelt durch Referate unsererseits) und nur wenige Stunden in der Woche für Texte lesen und schreiben zur Verfügung hatten.

Die restliche Zeit war in den ersten beiden Wochen vor allem mit weiteren theoretischen und vorbereitenden Recherchen z.B. im Getty Research Centre gefüllt. In der zweiten Hälfte unseres Aufenthalts arbeiteten wir an der inhaltlichen Konzeption der Ausstellung, suchten nach geeigneten Objekten und begannen Texte zu formulieren. Mindestens ein Tag in der Woche war für eine Exkursion reserviert. Doch davon berichten die bisherigen Einträge des Blogs schon ausführlich.
Begleitet wurde das Projekt während der ganzen Zeit von Cristina Cuevas-Wolf, Manager of Collection Development am Wende Museum. Sie hatte die – sicherlich nicht immer ganz einfache – Rolle zwischen den Interessen ihres Arbeitgebers und den Vorstellungen unsererseits zu vermitteln. Erst die offenen und zum Teil sehr kontrovers geführten Diskussionen haben das Ausstellungsprojekt sein künftiges Gesicht verliehen.

Im nächsten Post werden wir näher auf die inhaltliche und konzeptionelle Idee unseres Projektes eingehen.

Fußnoten
[1] Leppenies, Anette: Wissen vermitteln im Museum, Köln/ Böhlau 2003, S. 55-86.
[2] Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 2007, S. 15 ff.